Antrag auf erneuten Verzicht auf die Einrede der Verjährung im Fall der durch Blutprodukte HCV-infizierten Hämophilen
16.02.2010
Schreiben an Minister Dr. Philipp Rösler
An den
Bundesminister für Gesundheit
Herrn Dr. Philipp Rösler
Bundesministerium für Gesundheit
11055 Berlin
15. Februar 2010
Antrag auf erneuten Verzicht auf die Einrede der Verjährung im Fall der durch Blutprodukte HCV-infizierten Hämophilen
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Rösler,
durch die Behandlung mit kontaminierten Gerinnungspräparaten sind bis Anfang der 90er Jahre mehr als 90 Prozent der deutschen Hämophiliepatienten (Bluter) mit den Erregern der Hepatitis C (HCV) infiziert worden. Aufgrund der hohen Chronifizierungsrate (bis zu 80 Prozent aller Hepatitis C-Infektionen) hat sich bei einer großen Anzahl dieser Patienten eine Leberzirrhose beziehungsweise ein hepatozelluläres Karzinom entwickelt. HCV-Infektionen und ihre Spätfolgen sind in den letzten Jahren zur Haupttodesursache bei Hämophiliepatienten geworden.
Die Deutsche Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten e.V. (DHG) als bundesweite Interessenvertretung der Bluter bemüht sich seit nahezu 15 Jahren um eine angemessene finanzielle Entschädigungsregelung für die rund 3.000 noch lebenden Opfer dieses Medizinskandals. Obwohl der 3. Untersuchungsausschuss des 12. Deutschen Bundestages („HIV-Infektion durch Blut und Blutprodukte“) bezüglich der kontaminierten Blutprodukte eindeutige Versäumnisse der für die Präparatesicherheit verantwortlichen Aufsichtsbehörden festgestellt hat – und zwar nicht nur im Hinblick auf die Übertragung von HIV, sondern ebenso von HCV – ist lediglich für die HIV-infizierten Opfer des „Blutskandals“ mit dem HIV-Hilfegesetz eine Entschädigungsregelung getroffen worden.
Zur Klärung der Rechtslage hat auf Drängen der DHG im Dezember 2000 die damalige Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer, die Bereitschaft der Bundesregierung erklärt, bei Klagen wegen Amtspflichtverletzung gegen die Bundesrepublik Deutschland in Einzelfällen auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Daraufhin haben fünf Betroffene im Jahr 2003 mit Unterstützung der DHG eine Klage am Landgericht Berlin eingereicht. Diese Klage wurde im März 2004 nach nur einstündiger mündlicher Verhandlung ohne Beweisaufnahme und Hinzuziehung von Sachverständigen abgewiesen. Trotz Zweifel an der pharmakologischen und virologischen Kompetenz (Gründlichkeitsgebot) des Gerichtes hat die DHG auf die Fortführung der Klage nicht zuletzt auch wegen der unkalkulierbaren finanziellen Risiken verzichtet.
Allerdings musste die DHG in der Folgezeit erleben, dass alle Bemühungen, mit den politisch Verantwortlichen eine Entschädigungsregelung zu etablieren, fehlschlugen – und dies, obwohl die Prognose einer HCV-Infektion in vielen Fällen mit der einer HIV-Infektion vergleichbar ist und für die Betroffenen und deren Angehörige unvorhersehbare gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Risiken birgt.
Auf Grund dieses beschämenden und skandalösen Umgangs mit der Problematik sieht es die DHG als dringend geboten an, Betroffenen erneut die Möglichkeit zu eröffnen, Klage wegen Amtspflichtverletzung gegen die Bundesrepublik Deutschland für HCV-Infizierungen infolge Zulassung und Vertrieb nicht inaktivierter Gerinnungspräparate zu erheben.
Daher beantragt die DHG einen Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Einrede der Verjährungbei Klagen wegen Amtspflichtverletzung von durch kontaminierte Gerinnungspräparate mit HCV infizierten Hämophiliepatienten. Ein positiver Bescheid würde den Opfern den Weg offenhalten, endlich Rechtsklarheit zu erhalten.
Bei einer in den USA angestrengten Klage gegen für den „Blutskandal“ mitverantwortliche Pharmafirmen, an der auch etwa 100 Hämophile aus Deutschland als Kläger beteiligt waren, ist es zwischenzeitlich zu einer außergerichtlichen Einigung mit der Vereinbarung einer Entschädigung gekommen. Alle anderen deutschen HCV-infizierten Hämophilen haben jedoch bisher von keinem der damals für die Präparatesicherheit Verantwortlichen – weder von der Pharmaindustrie noch vom Bund oder den Ländern – auch nur einen einzigen Cent Entschädigung erhalten.
Die DHG und vor allem die Opfer des Medizinskandals würden es außerordentlich begrüßen, wenn Sie sich im Gegensatz zu Ihrer Amtsvorgängerin wieder persönlich der Problematik annehmen und die Behandlung der Thematik nicht an eine untere Arbeitsebene abgeben würden.
Für ein persönliches Gespräch stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Kalnins
Vorsitzender des Vorstands