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Blut verbindet alle

Bundesregierung plant keine Entschädigung für infizierte Bluter

26.01.2008

die durch Plasma- Produkte mit Hepatitis C infiziert wurden

Rabbata, Samir
Bundesregierung: Keine Entschädigung für infizierte Bluter
Dtsch Arztebl 2007; 104

Die Bundesregierung plant keine Entschädigung für Bluter, die durch Plasma- Produkte mit Hepatitis C infiziert wurden. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke hervor. Die Regierung verweist darin auf frühere fehlgeschlagene Versuche, in Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen, dem Deutschen Roten Kreuz und den Bundesländern Hilfe zu leisten. Außerdem gebe es keine haftungsrechtlich relevante Verantwortung des Staats.
Als ein Untersuchungsausschuss in der zwölften Legislaturperiode zu dem Schluss gekommen sei, dass denjenigen Patientinnen und Patienten, die sich durch Blutprodukte mit dem HI-Virus infiziert hatten, eine Entschädigung zustehe, habe die Regierung sofort gehandelt. Die Schäden durch Hepatitis C würden aber noch heute als gering eingeschätzt, heißt es in den Ausführungen der Regierung.
SR

Bundesregierung: Keine Entschädigung für infizierte Bluter
Dtsch Arztebl 2007; 104(51-52): A-3508 / B-3092 / C-2984
 
Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE lässt sich stark vereinfachend auf zwei Punkte reduzieren:

  1. Die damals zuständigen Behörden (das Bundesgesundheitsamt und die Länderbehörden) haben alles Mögliche unternommen, um eine Übertragung von Hepatitis C-Viren (non A- non B-Viren) durch Plasmaprodukte zu verhindern.
  2. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit einer Entschädigungszahlung für die ca. noch lebenden 3000 Hepatitis C- infizierten Hämophilen, da das Krankheitsbild an sich so schlimm nicht ist und die Patienten durch das soziale Netz in Deutschland abgesichert sind.

Zu Punkt 1:
Den zuständigen Beamten im BMG sowie den Mitgliedern der Regierungskoalition im Gesundheitsausschuss sei einmal die Lektüre des Buches „Deliktische Produktverantwortung für Hepatitis C-Infektionen hämophiler Patienten“ von MdB Dr. Gerhard Scheu empfohlen, welcher als Vorsitzender des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages („HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“) ein exzellenter Kenner der Materie ist. Er äußert sich wie folgt:
 
Spenderselektion:
„Die US-Plasmen waren jedoch den Umständen nach unvertretbar riskant. Sie stammten auch aus regionalen Epidemiegebieten, es gab ganze Gruppen von Risikospendern…“. S. 23
 
Testung:
„Die Bestimmung der Glutamat- Pyruvat- Transaminase (GPT, neue Bezeichnung Alaninaminotransferase ALT) im Serum (sGPT, sALT) diente als „Surrogattest zur Erfassung der Non A Non B Hepatits“. Studien hatten gezeigt, dass – solange keine spezifischen Marker bekannt waren – bei HBsAg- negativen Patienten ausschließlich Transaminasenerhöhungen das Angehen einer Posttransfusionshepatitis signalisierten.“ S.18
„In den USA nämlich ist der ALT- Test erst im November 1986 als Surrogatmaker für HNANB in das Blutspendewesen eingeführt worden.“ S.18
„Die HCV-Viruslast in den Pools hätte durch konsequent-permanente ALT- Testung der US- Plasmapheresespender und einem cutoff von 30 IU/Männer bzw. von 20 IU/Frauen um bis zu 80 Prozent vermindert werden können. Da aus Schimpansen-Versuchen bekannt ist, dass nicht weniger als 1000 HCV-Partikel für das Angehen einer Infektion erforderlich sind, hätte das einen enormen Sicherheitsgewinn dargestellt, jedenfalls wenn man auf unverhältnismäßig große Pools verzichtet hätte“. S. 30
 
Virusinaktivierung:
 „Kann man ein Virus, dessen „Existenz“ sicher ist, noch nicht isolieren, so sind Aussagen über Sicherheit von „100 Prozent“ nicht zu belegen, ... Soweit es jedoch darauf ankam, Präparate so sicher zu machen, wie sie 1981 überhaupt nur HNANB- sicher gemacht werden konnten, war es höchst plausibel, dass das ß-PL/UV-Verfahren (Faktor IX/PPSB) und die Behring-Nasserhitzung (Faktor VIII) die Voraussetzungen am ehesten erfüllen würden. Die Wirkungsweise war theoretisch und praktisch belegt, die Ergebnisse waren außerordentlich ermutigend.“ S. 39
„ In den USA hat Dr. Edward Shambron, ein Wissenschaftler, der die Faktor VIII-Hochkonzentrate mitentwickelt hatte, bereits 1977 ein der späteren SD (Solvent/Detergent) Methode ähnliches Verfahren entwickelt, um dass Risiko der Hepatitis-Übertragung zu eliminieren.“ S. 49
 
Zur Tätigkeit des BGA sind folgende Aussagen zu lesen:
„Obwohl die Reduktion der Infektiösität, wie sie seit der „Alt-Zulassung“ von „Biotest PPSB HS (1976) und seit Zulassung vom 5. Februar 1981 von „Behring HS“ als konkret möglich erscheinen musste, signifikant und im Zusammenhang mit der spätestens ab Herbst 1980 offenkundig gewordenen Frequenz und Schwere der Hepatitis-Gefahren von großem therapeutischen Nutzen war, konnte der Untersuchungsausschuss  keine Aktivitäten des BGA – welche auch immer – auffinden, die eine Überprüfung oder Revision der Hepatitis-Nutzen/Risiko-Abschätzung dieser Plasmaderivate zum Ziel gehabt hätten.“ S. 45
Dieser Untätigkeitsbefund erschien dem Untersuchungsausschuss zunächst nicht glaublich. Mit Beweisbeschluss Nr. 12-19/134 wurde deshalb eine spezifisch auf Hepatitis B- bzw. Non A/non B-Infektabwehr bezogene BGA-Auskunft verlangt. Auch dieses Beweismittel und die nachfolgenden Zeugeneinvernahmen erbrachten keine anderen Anhaltspunkte, als solche für schlichte administrative Untätigkeit ….“ S. 45
 
Dr. Scheu kommt zu folgendem Fazit:
„Nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnisse von Wissenschaft, Technik und Medizin waren in der Bundesrepublik Deutschland – in Ansehung von Hepatitis Non-A-Non-B:

  • aus nicht entsprechend der Plasma- Richtlinien ALT- getesteten Ausgangsstoffen hergestellte Blutgerinnungsfaktoren ab spätestens 1978,
  • nicht mit einer dem Verfahren“ß-PL/UV“ gleichkommenden Kapazität hepatitisabgereicherte PPSB- Konzentrate ab spätestens Oktober 1981,
  • nicht mit einer dem Verfahren „Pasteurisierung“ (10 h, 60°C, in Lösung erhitzt) gleichkommender Potenz hepatitsinaktivierte Faktor VIII-Präparate ab spätestens November 1982,

objektiv wegen negativer Nutzen-Risiko-Bilanz nicht mehr verkehrsfähig (§ 5 AMG 76).“ S. 92

Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass in der ehemaligen DDR noch bis Anfang 1990 Hämophile ausschließlich mit nicht virusinaktivierten Gerinnungsfaktoren behandelt wurden.
 
Zu Punkt 2:

Die jährlich erfasste Todesursachenstatistik bei Hämophilen zeigt in den letzten Jahren einen dramatischen Anstieg der durch Leberschäden verursachten Todesfälle. Diese Infektionen sind nun häufigste Todesursache bei Hämophilen und haben damit HIV-Infektionen, an der bisher mehr als 1000 Hämophile verstorben sind, abgelöst.
 
Den HCV-infizierten Hämophilen eine Entschädigung zu verweigern bedeutet,

  • gravierende Fehler der Aufsichtsbehörden und der Pharmaindustrie unter den Tisch zu kehren,
  • die Leiden der Betroffenen zu ignorieren,
  • den schwer geschädigten Patienten keine Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Wie bei HIV sollte auch bei HCV ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden.
 
Deutsche Hämophiliegesellschaft
zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten e.V.
 
Werner Kalnins
Vorsitzender des Vorstands