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Blut verbindet alle

Bluterkrankheitsbild in der "Neue Apotheken Illustrierte"

08.03.2007

vom 1. März 2007

Bluterkrankheit:
Große Gefahr auch bei kleinen Wunden


"Autsch!" Christian K. schaut ärgerlich auf das scharfe Küchenmesser. Da war sein Finger beim Zwiebelschneiden im Weg. Mit einem Pflaster versorgt er die kleine Wunde und hat sie bald darauf wieder vergessen. Für Christian und die meisten Menschen eine Bagatelle, Menschen mit der Bluterkrankheit, auch Hämophilie genannt, müssen jedoch auch kleinste Verletzungen ernst nehmen, denn ihr Blut gerinnt nicht in normaler Weise.

Nach einer kleinen Verletzung stoppt die Blutung bei Gesunden relativ schnell von selbst, und es bildet sich ein harter Schorf, der die Wunde verschließt. Diesem scheinbar simplen, aber lebenswichtigen Vorgang der Blutgerinnung liegt eine komplizierte Kaskade von Reaktionen einzelner Blutbestandteile zu Grunde, die das Blut an der gewünschten Stelle verklumpen lässt. Fehlt nur ein einziger der beteiligten Akteure, unterbricht das den Ablauf, und das Blut gerinnt nicht oder nur stark verzögert.

Genau dieser Fall liegt bei der Hämophilie vor. Menschen mit dieser Erbkrankheit, in Deutschland sind es etwa 4000, fehlt ein Mitspieler in der Blutgerinnungskaskade. Bei der Hämophilie A bildet der Körper keinen Blutgerinnungsfaktor VIII. Diese Form betrifft die meisten Patienten. Bei Hämophilie B ist dagegen Faktor IX nicht vorhanden.

Dass sich offene Wunden kaum verschließen, ist ein großes Problem für Bluter, aber noch weitaus stärker machen ihnen innere Blutungen zu schaffen. Gerade in Gelenken, die größere Belastungen aushalten müssen, zum Beispiel
Knie- oder Schultergelenke, kommt es immer wieder zu Einblutungen. In der Folge entzünden sie sich, was die Gelenkknorpel und -kapsel ähnlich wie bei rheumatischen Gelenkentzündungen auf die Dauer zerstört. Die Gelenke deformieren und versteifen sich, und jede Bewegung wird zur Qual.

Spritzen ermöglichen ein fast normales Leben

Heutzutage treten diese gravierenden Spätschäden immer seltener auf, denn es gibt eine effektive Behandlung für Hämophilie A. In den 1970er-Jahren ist es erstmals gelungen, Blutprodukte so aufzubereiten, dass daraus Faktor-VIII-Präparate gewonnen werden konnten. Bei Blutern, die damit vorsorglich behandelt werden, wird so die Lücke in der Gerinnungskaskade geschlossen, und sie können ein fast normales Leben führen. Dazu müssen sie sich das Präparat mehrmals wöchentlich selbst intravenös spritzen – ein Vorgang, der in Patientenschulungen vermittelt und mit der Zeit zur Routine wird.

Zur Überwachung der Therapie sollten sich Bluter mindestens jährlich in einem so genannten Hämophiliezentrum untersuchen lassen. Sollten Probleme bei der Selbstbehandlung mit Faktor VIII auftreten, können die Ärzte dieser spezialisierten Stationen meist schnell klären, was dahinter steckt.

AIDS-Epidemie darf sich nicht wiederholen

Da sich viele Bluter zu Beginn der AIDS-Epidemie in den 1980er-Jahren über die Faktor-VIII-Produkte mit HIV infizierten, wird heutzutage bei der Herstellung der Präparate besonderes Augenmerk auf eine mögliche Verunreinigung mit Viren gelegt. Sowohl bei der heute vorherrschenden gentechnischen Produktion von Faktor VIII als auch bei der Gewinnung aus Blutplasma werden Maßnahmen ergriffen, die Viren effektiv inaktivieren. Beide Produktvarianten werden daher von Fachleuten als sicher eingestuft.

Leider entwickelt ein Viertel bis ein Drittel der Patienten, die Faktor VIII bekommen, Antikörper gegen dieses Eiweiß. Die Folge: Das Präparat wirkt bei ihnen nicht mehr. Die Arzneimittelhersteller forschen daher auf Hochtouren, um eine solche Immunreaktion zu vermeiden. Darüber hinaus arbeiten Wissenschaftler an einer Gentherapie der Hämophilie A. Sollten sie eines Tages Erfolg haben, könnten Bluter geheilt werden und ganz auf ihre Blutgerinnung vertrauen, wenn sie sich wie Christian K. verletzen.

Apotheker Rüdiger Freund

Beitrag erschienen in "Neue Apotheken Jllustrierte" vom 1. März 2007.