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Gemeinsamer Bundesausschuss beschließt die Neufassung der Heilmittelrichtlinie

05.02.2011

Heilmittelversorgung für Menschen mit dauerhaften und schwerwiegenden Behinderungen

Der G-BA hat am 20.1.2011 eine Neufassung der Heilmittel-RL beschlossen. Die zwei wichtigsten Änderungen, für die sich die Patientenvertretung intensiv stark gemacht hat und zu denen sicherlich nicht nur beim G-BA, sondern auch bei Ihnen viele Nachfragen kommen werden:

1. Für Menschen mit schweren, dauerhaften und strukturellen Schädigungen wird eine Möglichkeit geschaffen, ihren langfristigen Heilmittelbedarf durch die Krankenkasse anerkennen zu lassen. Dies soll dazu beitragen, dass PatientInnen mit dauerhaften Heilmittelbedarf leichter an eine Heilmittel-Verordnung kommen.

2. Für Kinder und Jugendliche mit besonders schweren und langfristigen funktionellen/strukturellen Schädigungen können Heilmittel künftig auch in einer auf deren Förderung ausgerichteten Tageseinrichtung möglich sein.

Beitrag aus bvkm-aktuell 1/2011
Informationsschrift des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

Gemeinsamer Bundesausschuss beschließt die Neufassung der Heilmittelrichtlinie
Nach einem langen Vorbereitungsprozess hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 20.01.2011 die Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie verabschiedet. Neben der formalen und sprachlichen Überarbeitung wurden ausgewählte Regelungen des Fragen-und-Antwort-Kataloges der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung
übernommen.
(www.gkv-spitzenverband.de/upload/Frage_Antwort_KBV_246.pdf)

Die inhaltliche Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie betrifft die Versorgung von Menschen mit
schwerwiegenden und dauerhaften Behinderungen und chronischen Erkrankungen und den
Ort der Leistungserbringung.

Heilmittelversorgung für Menschen mit dauerhaften und schwerwiegenden Behinderungen

Mit Nachdruck hatte sich die Patientenvertretung für eine Verbesserung der Heilmittelversorgung von Menschen mit schweren Behinderungen eingesetzt. Die Probleme sind seit langem bekannt. Die Bewirtschaftung der Heilmittelausgaben beeinflusst in vielen Regionen Deutschlands das Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte. Davon sind vor allem
Menschen mit einem hohen Heilmittelbedarf betroffen. Aus Sorge vor der Überschreitung der Richtgrößen bzw. des Praxisbudgets und der in der Folge zu befürchtenden Wirtschaftlichkeitsprüfung und möglichen Regressforderung schränkten Ärzte auch medizinisch notwendige Verordnungen ein. Bei Überschreiten des Richtgrößenvolumens von mehr als 25% hat der Vertragsarzt den Mehraufwand der Krankenkasse zu erstatten, soweit die Mehraufwendungen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet werden können. Die Genehmigung von Heilmittelverordnungen, wie sie für Verordnungen außerhalb des Regelfalls bei langfristigen Behandlungen regelhaft vorgesehen sind, begründet als solche keine Praxisbesonderheiten.
Dafür ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Ausrichtung der Praxis auf die Behandlung besonders schwerwiegender Krankheitsbilder und Behinderungen erforderlich.
Die in § 8 Abs. 5 der Heilmittelrichtlinie eingefügte Regelung sieht vor, dass Menschen mit schwerwiegenden Behinderungen und chronischen Erkrankungen bei der Krankenkasse eine Feststellung der besonderen Schwere und Langfristigkeit der Schädigung und Beeinträchtigung und des sich daraus ergebenden Therapiebedarfs beantragen können. Diese Statusfeststellung soll zu einer erheblichen Vermindung der Regressgefahr für die Ärzte führen.
Bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen lassen sich Verordnungen für diese Patienten durch Vorwegabzug besonders berücksichtigen und führen somit nicht zu möglichen Regressansprüchen gegen den verordnenden Arzt.
Es ist davon auszugehen, dass nur Patienten von der Möglichkeit der Beantragung der Statuserhebung Gebrauch machen, die ihre Heilmittelversorgung nicht als gesichert ansehen.
In dem Umfang, in dem zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten vereinbart werden, wird sich auch die Beantragung der nun zusätzlich vorgesehenen individuellen Lösung entwickeln. Es wird davon ausgegangen, dass die Statusfeststellung in der Regel nach Aktenlage erfolgt, da die Feststellung der Behinderung und der Behandlungsbedarf der in Frage kommenden Patienten den Krankenkassen hinreichend vorliegen.
Eine andere oder weitreichende Lösung der beschriebenen Problematik ist durch Regelungender Heilmittelrichtline aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht zu erreichen.

§ 8 Verordnung außerhalb des Regelfalls
Abs. 5 der Heilmittelrichtlinie (neue Fassung)
(5) 1 Auf Antrag der oder des Versicherten entscheidet die Krankenkasse darüber, ob der oder dem Versicherten wegen der sich aus der ärztlichen Begründung ergebenden besonderen Schwere und Langfristigkeit ihrer oder seiner funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und des nachvollziehbaren Therapiebedarfs die verordnungsfähigen
Leistungen in dem verordnungsfähigen Umfang langfristig genehmigt werden
können. 2Die Genehmigung kann zeitlich befristet werden, soll aber mindestens ein Jahr umfassen.

Ort der Leistungserbringung
Seit geraumer Zeit gibt es immer wieder Probleme, wenn Heilmittel (Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie/Sprachheilbehandlung) für Kinder und Jugendliche mit Behinderung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Tageseinrichtungen für Kinder oder Schulen erbracht werden sollen. Die aktuelle Heilmittelrichtlinie sieht vor, dass als Ort der Leistungserbringung nur die Praxis der/des niedergelassenen Therapeutin/Therapeuten
in Frage kommt. Einrichtungen der Behindertenhilfe mit sog. Institutsverträgen sind den Praxen niedergelassener Therapeuten als geeigneter Ort der Leistungserbringung gleichgestellt.
Davon abgewichen werden kann bei ärztlich verordneten Hausbesuchen, für die jedoch ausschließlich medizinische Gründe vorliegen müssen. Der Aufenthalt in einer Tageseinrichtung, die besondere soziale Situation oder Zeitprobleme stellen keinen Grund für die Verordnung eines Hausbesuches dar.
Kinder und Jugendliche mit Behinderung in integrativ arbeitenden Kindertageseinrichtungen und Schulen, aber auch in Sondereinrichtungen hatten zunehmend Schwierigkeiten, medizinisch erforderliche therapeutische Leistungen zu erhalten, da
die Krankenkassen in der Regel keine neuen Institutsverträge abschließen,
Schul- und Sozialhilfeträger keine Therapeutinnen/Therapeuten anstellen bzw. aus
den Stellenplänen der Einrichtungen streichen, mit dem Hinweis auf die Leistungspflicht
der GKV,
die Verordnung eines Hausbesuches ausgeschlossen ist, da keine medizinischen
Gründe dafür vorliegen,
die Leistungserbringung durch niedergelassene Therapeuten in den Einrichtungen
damit nicht zulässig ist und die GKV darauf vermehrt hinweist
und ärztliche Verordnungen mit Hinweis auf die Heilmittelrichtlinie verweigert werden, wenn eine Überschreitung des Praxisbudgets droht und eine Verordnung für die therapeutische Leistung in einer Einrichtung erbeten wird.
Die als Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss beteiligten Verbände der Menschen mit Behinderung haben auf diese Entwicklung und die Folgen für die Betroffenen immer wieder hingewiesen und fanden eine Unterstützung ihrer Bemühungen durch einen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz der Länder von 2007, der das Bundesgesundheitsministerium und den Gemeinsamen Bundesausschuss aufforderte, Abhilfe zu schaffen.

Die Gesundheitsministerkonferenz führte als Begründung für die Leistungserbringung in Tageseinrichtungen u.a. den wachsenden Bedarf an therapeutischen Leistungen aufgrund sozialer Risiken und der veränderten Lebensbedingungen der Familien an, die durch die Berufstätigkeit der Eltern nicht in der Lage seien, Behandlungen in der Praxis der Niedergelassenen in Anspruch zu nehmen.
In einem zähen Prozess hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss (GB-A) dieser Problematik im Rahmen der Überarbeitung der Heilmittelrichtline angenommen. Zum Jahreswechsel 2009/2010 gab der GB-A die Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie von 2004 in das Anhörungsverfahren.
Die Neuregelung des § 11 Abs. 2 sieht vor, dass die Behandlung von Kindern
und Jugendlichen außerhalb der Praxis und ohne die Verordnung eines Hausbesuches zulässig ist, wenn die Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren ganztägig in einer auf deren Förderung ausgerichteten Tageseinrichtung (z. B. Kindertagesstätte, Schule) untergebracht sind. Voraussetzung ist, dass sich aus der ärztlichen Begründung eine besondere
Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen sowie der Beinträchtigungen der Aktivitäten ergibt und die Tageseinrichtung auf die Förderung dieses Personenkreises ausgerichtet ist und die Behandlung in diesen Einrichtungen durchgeführt wird. Diese Regelung wurde im Konsens in das Anhörungsverfahren eingebracht.
Der GB-A hat das Anliegen der Gesundheitsministerkonfernz, den Ort der Leistungserbringung noch weitgehender freizugeben, nicht aufgegriffen. Es wird befürchtet, dass eine für den angemessenen Umgang mit sozial verursachten Entwicklungsrisiken von Kindern (Armut, Migrationshintergrund, bildungsfernes Elternhaus) unzureichende personelle Ausstattung der Regeleinrichtungen durch Leistungen der GKV kompensiert werden könnte. Das Anliegen der Patientenvertreter, die Altersgrenze aufzuheben und damit auch therapeutische
Leistungen in Tagesfördereinrichtungen für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen zu ermöglichen, konnte durchgesetzt werden. Die Behandlung mit Heilmitteln in diesen Einrichtungen stellte in der Vergangenheit kein besonderes Problem dar. Der Personenkreis ist überschaubar und klar eingegrenzt, und die Schwere der Behinderung machte es für alle Beteiligten nachvollziehbar, dass die Behandlung u.U. nur sinnvoll in der Tagesfördereinrichtung stattfinden kann. Es ist zu befürchten, dass die Altersbegrenzung zukünftig diese sinnvolle und bisher von allen akzeptierte Behandlungsmöglichkeit ausschließt. Es konnte lediglich erreicht werden, dass die Altersbegrenzung überschritten werden kann, wenn der Schulbesuch über das 18. Lebensjahr hinaus fortgesetzt wird.
Ebenso konnte sich der von den Patientenvertretern eingebrachte Vorschlag nicht durchsetzen, ausdrücklich die Klarstellung in § 11 Abs. 2 aufzunehmen, dass auch Regelschulen zu den auf den Personenkreis ausgerichteten Einrichtungen gehören. Die Tatsache, dass ein behindertes Kind eine Einrichtung besucht, ist alleine kein Grund, die Leistungserbringung in
einer Regeleinrichtung zu ermöglichen. Vielmehr müssen die besonderen Voraussetzungen für die Förderung, Erziehung und Bildung von Kindern mit Behinderungen in der Einrichtung
(Konzept, personelle Ausstattung, Raum- und Sachausstattung) gegeben sein. Der Vorschlag der Patientenvertretung wurde aber in die Begründung der Neufassung der Heilmittelrichtlinie aufgenommen. In den Tragenden Gründen ist nun ausgeführt, dass auch Regelkindertageseinrichtungen und Regelschulen als Ort der Leistungserbringung in Frage kommen, wenn sie die genannten Voraussetzungen erfüllen.
§ 11 Ort der Leistungserbringung (HMR neue Fassung)
(1) Heilmittel können, sofern nichts anderes bestimmt ist, als Behandlung bei der Therapeutin oder dem Therapeuten (Einzel- oder Gruppentherapie) oder als Behandlung im Rahmen eines Hausbesuchs durch die Therapeutin oder den Therapeuten verordnet werden.
(2) 1 Die Verordnung der Heilmittelerbringung außerhalb der Praxis der Therapeutin oder des Therapeuten ist nur dann zulässig, wenn die Patientin oder der Patient aus medizinischen Gründen die Therapeutin oder den Therapeuten nicht aufsuchen kann oder wenn sie aus medizinischen Gründen
zwingend notwendig ist. 2 Die Behandlung in einer Einrichtung (z. B. tagesstrukturierende Fördereinrichtung) allein ist keine ausreichende Begründung für die Verordnung eines Hausbesuchs. 3 Ohne
Verordnung eines Hausbesuchs ist die Behandlung außerhalb der Praxis des Therapeuten oder der Therapeutin ausnahmsweise für Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, ggf. darüber hinaus bis zum Abschluss der bereits begonnenen schulischen Ausbildung möglich, die ganztägig in einer auf deren Förderung ausgerichteten Tageseinrichtung untergebracht sind, soweit § 6 Abs. 2 dem nicht entgegensteht. 4Voraussetzung ist, dass sich
aus der ärztlichen Begründung eine besondere Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen sowie der Beeinträchtigungen der Aktivitäten ergibt und die Tageseinrichtung auf die Förderung dieses Personenkreises ausgerichtet ist und die Behandlung in diesen Einrichtungen durchgeführt wird.

Der GB-A hat die Neufassung der Heilmittelrichtlinie am 20. Januar 2011 beschlossen und dem Bundesgesundheitsministerium zur Genehmigung vorlegt. Genehmigt das BMG die Richtlinie, könnte sie am 1. April 2011 in Kraft treten. Die Neufassung wird in Kürze vollständig auf der Internetseite des GB-A www.g-ba.de veröffentlicht.

Düsseldorf, 20.01.2011 Norbert Müller-Fehling
www.bvkm.de