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Blut verbindet alle

HCV-Entschädigungsregelung - Auszug Deutscher Bundestag

18.02.2009

Entschädigungsregelung für durch Blutprodukte mit HCV infizierte Bluter schaffen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2009 
S. 22203 ff 
Auszug
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

– Drucksache 16/11685 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Haushaltsausschuss
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Jens Spahn, Christian Kleiminger, Dr. Konrad Schily, Frank Spieth, Dr. Harald Terpe und Parlamentarischer Staatssekretär Rolf Schwanitz.

Jens Spahn (CDU/CSU):
Die Infektionen mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) in den 1980er-Jahren, die durch die Anwendung von Blutprodukten ausgelöst wurden, haben vor allem die Gruppe der Hämophilen betroffen, die aufgrund ihrer Erkrankung regelmäßig auf die Gabe von Blutplasmaprodukten angewiesen sind. Aber auch andere Patienten sind durch Blutprodukte mit dem HCV infiziert worden. Uns ist die Tragik dieser Infektionen für die Betroffenen sehr bewusst und unser Mitgefühl gilt den Menschen, die mit dem HCVirus infiziert wurden. Sie und ihre Angehörige hatten und haben eine große gesundheitliche und psychische Belastung zu tragen.
Einen Grund für eine staatliche Entschädigungsregelung, wie sie nun im vorliegenden Antrag gefordert wird, sehe ich jedoch nicht. Eine Entschädigungsregelung des Bundes kann es nur geben, wenn staatliche Rechts- oder Prüfungsaufsichten verletzt wurden. Eine staatliche Verantwortung für die HCV-Infektionen, die  haftungsrechtlich relevant wäre oder die Verpflichtung zu einer Entschädigung auslösen würde, trifft die Bundesrepublik Deutschland aber nicht. Im Ergebnis wird meine Ansicht auch von der Rechtsprechung geteilt, welche in den bisherigen Verfahren die Entschädigungsansprüche gegen den Bund unter anderem aufgrund mangelnder Kausalitätsnachweise ablehnt.
Ein Staatsversagen lässt sich auch deshalb nicht eindeutig feststellen, da es sich bei dem Infektionsgeschehen zum damaligen Zeitpunkt wohl – so hart das klingt – um unvermeidbare Ereignisse handelte. Schließlich ließ sich bis weit in die 80er-Jahre kein Verfahren finden, welches eine Infizierung von Blutprodukten mit HC-Viren vollständig ausschließen konnte. Auch die häufig angeführte sogenannte ALT-Testung und andere damals bekannte Verfahren waren nicht hinreichend spezifiziert, um eine sichere Aussage über die Durchseuchung mit HCV zu treffen. Darüber hinaus war die seit 1976 in Deutschland vorgeschriebene ALT-Testung ohne nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen bei Hämophilen, da diese Patientengruppe mit Plasmapräparaten behandelt wird, bei deren Herstellung tausende Einzelspenden gepoolt werden. Der unvermeidliche HCV-Eintrag in Plasmapools basiert hauptsächlich auf chronisch HCV-infizierten Personen, die meist nur sporadisch ALT-Erhöhungen aufweisen. Erst durch den spezifischen Anti-HCV-Test konnten endlich die HCV-positiven Spenden identifiziert werden.
Die häufige Bezugnahme in der Argumentation für eine Entschädigungsregelung auf die finanzielle Hilfe für die durch Blutprodukte HIV-infizierten Personen, wie sie auch im vorliegenden Antrag genommen wird, führt im Zusammenhang mit der Entschädigungsforderung für HCV-Infizierte zu Verwirrung. Der vom Deutschen Bundestag eingesetzte 3. Untersuchungsausschuss „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ in der 12. Legislaturperiode erhob die Forderung nach einer finanziellen Unterstützung für die durch Blutprodukte HIV-Infizierten, welche der Bund auch direkt erfüllte. Eine Entschädigungsregelung oder humanitäre Hilfe für die durch Blutprodukte mit Hepatitiserregern infizierten Personen forderte er jedoch nicht. Insofern stellt sich die Sachlage bei den HIV-Infektionen anders dar. Es wurde eindeutig eine seinerzeitige Verantwortung des Staates durch den Untersuchungsausschuss zugewiesen. Zudem ist eine HIV-Infektion trotz aller Fortschritte in der medizinischen Behandlung im Gegensatz zur HCV-Infektion noch immer in jedem Fall ein Todesurteil. Auch dies muss zu einer anderen Bewertung führen. Wichtig ist es, in jedem Fall sicherzustellen – und das ist bei uns in Deutschland auch sichergestellt –, dass die HCV-Infizierten Zugang zu einer flächendeckenden, hochwertigen Versorgung haben.
Bei Verweisen auf Entschädigungsregelungen anderer Länder muss dieser Punkt differenziert betrachtet werden. Diese Länder weisen eine im Vergleich zur Bundesrepublik abweichende staatliche Verantwortung für das Gesundheitswesen und die Versorgung von Patienten auf. Anbieter der Blutprodukte sind innerhalb Deutschlands weitgehend private Unternehmen oder Einrichtungen, welche nach der Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich eigenverantwortlich handeln und zivil- und strafrechtlich verantwortlich sind. Auch die stationäre und ambulante Versorgung der Bevölkerung ist in der Bundesrepublik weitgehend nicht staatlich organisiert. Zu erwähnen ist aber auch, dass die Bundesregierung wiederholt um eine gemeinsame Initiative für humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HCV-infizierte Personen bei den Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, den Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes und den Ländern bemüht war, jedoch bei diesen auf Ablehnung stieß. Es ist zu wünschen, dass die Bundesregierung die Gespräche mit den genannten Partnern, darunter natürlich auch den betroffenen Patientenverbänden, fortsetzt und vertieft.

Christian Kleiminger (SPD):
Wir sprechen heute über den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Entschädigungsregelung für durch Blutprodukte mit HCV infizierte Bluter schaffen“. Auch wenn das Schicksal der von einer durch Blutprodukte verursachten Hepatitis-C-Infektion betroffenen Patientengruppe bislang in dieser Legislaturperiode noch nicht Gegenstand einer Plenardebatte war, so haben wir uns doch auch als Parlamentarier zu verschiedenen Gelegenheiten – im Ausschuss und auch im Berichterstattergespräch und ich auch persönlich in Gesprächen mit Betroffenen – ausführlich mit der Problematik befasst. Ich will ausdrücklich sagen, dass es sich hier jenseits aller fachlichen und juristischen Erwägungen auch menschlich um eine außerordentlich schwierige Materie handelt. Ich meine allerdings, dass die Linke mit ihrem Antrag der Komplexität der mit einer  Entschädigungsregelung verbundenen Fragen und der Verantwortung gegenüber den betroffenen Menschen nicht gerecht wird. Auch die Begründung ihres Antrages weist unzulässige Verkürzungen auf.
Um es aber deutlich zu sagen: Keiner möchte das Leid, das den Betroffenen durch eine Infizierung mit Hepatitis C entstanden ist, leugnen: HCV ist eine – meist chronisch verlaufende – Krankheit, die auch zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Leberzirrhosen oder auch Leberkarzinomen führen kann. Der Leidensweg vieler Erkrankter macht mich persönlich betroffen. Dennoch ist es nicht korrekt, wenn man die von Hepatitis C betroffene Patientengruppe undifferenziert mit derjenigen Gruppe gleichsetzt, die mit dem HI-Virus infiziert wurde, aufgrund dessen 1995 die „Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte infizierte Menschen“ eingerichtet wurde. Denn bei Aids handelte es sich damals, als die Stiftung gegen den anfänglichen Widerstand unter anderem der Pharmaindustrie eingerichtet wurde, um eine in jedem Falle tödlich verlaufende Krankheit. Allein deshalb war eine schnelle, unbürokratische Hilfe durch die Stiftung, an der sich Bund, Länder, die Pharmaindustrie und die Blutspendedienste beteiligten, so wichtig. Und auch heute, wo der Krankheitsverlauf bei Aids mehr und mehr chronisch wird, sind die modernen Therapien weiterhin mit ganz erheblichen Nebenwirkungen und hierdurch auch mit einer Beeinträchtigung in der Lebensqualität verbunden.
Entgegen der Behauptung der Fraktion Die Linke gibt es auch keinen zwingenden Nachweis dafür, dass im fraglichen Zeitraum in den 70er- und 80er-Jahren nach dem damaligen allgemeinen Kenntnisstand tatsächlich und nachweisbar eine Infizierung mit HCV tatsächlich hätte verhindert werden können. Insoweit macht man es sich auch zu einfach, diese Problematik allein aus der heutigen Sicht zu betrachten, mit dem Wissen, den Möglichkeiten und der Medizin von heute. Um die Betroffenen nicht mit ihrem Schicksal allein zu lassen, haben wir in der Vergangenheit die Bemühungen der Bundesregierung für eine humanitäre Hilfe unterstützt.
Alle Bemühungen, mit dem Roten Kreuz, der pharmazeutischen Industrie und den Ländern zu einer gemeinsamen freiwilligen Regelung zu kommen, scheiterten jedoch, und dies bereits zu Zeiten, als die Grünen die Bundesgesundheitsministerin stellten. Mir ist übrigens trotz intensiver Recherche keine Initiative aus jenen Jahren bekannt, in denen die PDS das Gesundheitsressort in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern innehatte. Dazu wäre damals doch ausreichend Gelegenheit gewesen. Der Antrag der Fraktion Die Linke ist deshalb wohl dem bevorstehenden Wahlkampf geschuldet. Dafür ist mir allerdings die Sache zu ernst. Im Interesse der Betroffenen sollten wir nicht weiter Hoffnungen schüren, die in Form von Entschädigungszahlungen – durch den Bund allein – nicht erfüllt werden können.

Dr. Konrad Schily (FDP):
Die FDP-Bundestagsfraktion bedauert sehr, dass es im Rahmen der lebensnotwendigen Therapie von überwiegend an Hämophilie erkrankten Patientinnen und Patienten durch die Anwendung von mit HCV-Viren verseuchtem Blut bzw. verseuchten Blutprodukten zu HCV-Infektionengekommen ist. Je nach Ausprägungsgrad der Krankheit ist für die Betroffenen hieraus zum Teil großes Leid entstanden, und sie müssen zahlreiche Einschränkungen ihres Lebens in Kauf nehmen. Die immer wieder diskutierte Frage, ob diese Infektionen zum damaligen Zeitpunkt hätten vermieden werden können, darf nicht anhand der heute vorhandenen Erkenntnisse beantwortet werden. Vielmehr müssen die damalige Situation und die damaligen Erkenntnisse berücksichtigt werden. Hier geht der Antrag der Linken fehl. Eine staatliche Verantwortung, die zu haftungsrechtlichen Entschädigungsansprüchen führen würde, ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht gegeben. Gerichtsverfahren haben in dieser Hinsicht nichts anderes ergeben.
Der 3. Untersuchungsausschuss in der 12. Legislaturperiode „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ hat in seinem Schlussbericht im Gegensatz zu den HIV-Infizierten für die HVC-Infizierten keine konkreten Forderungen für eine Entschädigung oder humanitäre Hilfen aufgestellt. Aus Anteilnahme an dem Schicksal der Betroffenen ist dennoch auch auf Betreiben der FDP wiederholt der Versuch unternommen worden, in Analogie zu dem HIV-Hilfefonds zusammen mit den pharmazeutischen Unternehmen, den Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes und den Ländern zu einer einvernehmlichen Lösung im Sinne der Betroffenen zu kommen. Dies ist jedoch leider nicht gelungen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich an dieser Haltung im Hinblick auf die Beurteilung der Situation etwas ändern wird. Insofern werden mit dem Antrag falsche Hoffnungen geweckt.

Frank Spieth (DIE LINKE):
In den 1980er-Jahren wurden einige Tausend Menschen durch einen Arzneimittelskandal mit dem Hepatitis C-Virus, HCV, der zu schweren Krankheiten führt, infiziert. Verantwortlich für diesen Skandal waren in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesgesundheitsamt, die Pharmaindustrie, die Behandler und die Blutspendedienste. Das behauptet nicht die Linke, sondern das hat der Bundestag bereits 1994 durch einen Untersuchungsausschuss festgestellt. Dennoch haben die Bundesregierungen Kohl, Schröder und Merkel bisher diesen Menschen eine Entschädigungsregelung verweigert.
Wie kam es dazu? Blutern fehlt ein Gerinnungsstoff, sodass sie bei geringsten Verletzungen verbluten können. Seit den 1960er-Jahren kann man ein Gerinnungsmittel aus Blutspenden gewinnen und als Medikament einsetzen. Dieses Medikament hatte aber die Folge, dass sich Bluter mit Krankheiten der Blutspender infizierten. Seit 1977 gab es aber ein funktionierendes Verfahren, mit dem man Spenderblut behandeln konnte und gefährliche Viren wie das Hepatitis-C-Virus oder auch HIV abtöten konnte. Nach Tests und Arzneimittelzulassungsverfahren hätten die alten, verseuchten Medikamente ab 1982, 1983 nicht mehr verabreicht werden dürfen. Aber die betroffenen Bluter wurden teils in den Praxen und in den Krankenhäusern bis 1987 weiter damit behandelt. Erst 1989 wurde die Virusinaktivierung zur Auflage gemacht. Bis dahin infizierten sich mehrere Tausend Menschen mit HIV und HCV – oder beiden Viren. Für die mit HIV infizierten Menschen wurde infolge des Untersuchungsberichts völlig zu Recht das HIV-Hilfegesetz auf den Weg gebracht. Für diese Gruppe gab es nun eine Entschädigungsregelung. Nicht jedoch für die mit HCV Infizierten.
Die Linke hat dieses Thema im Gesundheitsausschuss schon mehrfach zur Sprache gebracht und fordert für die Betroffenen eine Lösung. Dafür gab es auch durchaus Sympathien bei den anderen Oppositionsfraktionen. CDU/CSU und SPD und die Bundesregierung wehren sich jedoch dagegen. Es bestehe keine haftungsrechtliche Verpflichtung für eine Entschädigung, außerdem sei die Pharmaindustrie nicht bereit, etwas zu zahlen. Die einzige Schlussfolgerung, die das SPD-geführte Gesundheitsministerium daraus gezogen hat: Die Betroffenen wurden eingeladen. Es wurde ihnen aber lediglich erklärt, warum Koalition und Regierung keine Entschädigungslösung beabsichtigen. Es drängt sich der Eindruck auf: Hier wird auf Zeit gespielt und auf die biologische Lösung des Problems. Denn nach einer österreichischen Studie verkürzt eine HCV-Infektion das Leben um etwa 18 Jahre. In meinen Augen ist die Untätigkeit der Bundesregierung ein Skandal. Nicht nur in Deutschland gab es diese Infektionen, sondern in vielen Ländern. Diese gehen anders mit der Situation um, zum Beispiel Irland, Großbritannien, Italien, Spanien, Schweden und Ungarn. Dort wurden Entschädigungsregelungen eingeführt. Anfang 2008 ist auch Japan nachgezogen. Dort hat die Regierung ihre Verantwortung für die Infektionen ausdrücklich anerkannt, bei den Betroffenen um Entschuldigung gebeten und eine Einmalzahlung von bis zu etwa 250 000 Euro beschlossen. Und vor wenigen Wochen hat auch Frankreich eine Entschädigung beschlossen. 
Die Fraktion Die Linke fordert deshalb erstens eine umfassende Entschädigungslösung, zweitens an dieser Entschädigungslösung die Pharmaindustrie zu beteiligen, drittens die Entschädigung rückwirkend zu zahlen.
V
iertens. Alternativ zu monatlichen Zahlungen könnten auch einmalige Abfindungen gezahlt werden.
Kurz: Die Linke fordert die Bundesregierung auf, umgehend zu handeln und dem japanischen und den europäischen Beispielen zu folgen.

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Man muss sich fragen, warum wir heute – 25 Jahre nachdem sich hunderte Bluter durch ein staatliches Versäumnis mit Hepatitis C infizierten – noch darüber debattieren müssen, ob diesen Betroffenen eine Entschädigung gewährt werden sollte oder nicht. Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand. Ich begrüße, dass sich die Linke nunmehr der Forderung der Grünen anschließt, eine humanitäre Entschädigung für durch Blutprodukte mit HCV infizierte Bluter durchzusetzen. Unsere Fraktion hat bereits im letzten Jahr einen entsprechenden Antrag eingebracht, der sich weitgehend mit den Forderungen des heute zur Debatte stehenden Antrags deckt. Die Auffassung der Bundesregierung, bei diesen Infektionen handele es sich um ein „unvermeidbares Ereignis“, ist nicht haltbar. Dies hat der Bericht des Untersuchungsausschusses HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ eindeutig gezeigt.
Seit spätestens Anfang der 70er-Jahre wusste das Bundesgesundheitsamt von der Gefahr, dass eine virale (Non A/Non B-)Hepatitis durch infizierte Blutspenden und Blutprodukte übertragen werden konnte. Spätestens ab 1981 standen alternativ virusinaktivierte Präparate zur Verfügung, bei denen eine solche Gefahr nicht bestand. Dennoch wurden bis 1985 auch weiterhin nicht inaktivierte Produkte zugelassen, obwohl beispielsweise Faktor-VIIIHochkonzentrate spätestens ab 1983 als bedenkliche Arzneimittel hätten eingestuft und ihre Verkehrsfähigkeit verlieren müssen. Das Bundesgesundheitsamt ist damals auf dieses Risiko wiederholt hingewiesen worden. Dennoch verharrte es in seiner Untätigkeit – fast wie jetzt die Bundesregierung im Hinblick auf die Schaffung einer angemessenen Entschädigungsregelung. Das Bundesgesundheitsamt hat es damals weder für notwendig erachtet, die Zulassung solcher Risikoprodukte zu widerrufen oder ruhen zu lassen, noch die Auflage erteilt, derartige Produkte zukünftig nur noch nach einer Inaktivierung auf den Markt zu bringen. In diesem Zusammenhang ist es auch völlig unerheblich, ob damals bereits ein entsprechender Antikörpertest zur Verfügung stand oder nicht. Zu Recht hat der Untersuchungsausschuss zu HIV und Aids diese Untätigkeit auch im Falle der Infektionen mit Hepatitis C als schuldhafte Amtspflichtverletzung gewertet.
Die Entschädigung der Menschen, die in diesem Zeitraum infiziert wurden, ist dringend notwendig. Das Leid, dass diese Menschen durch ihre Infektion erfahren haben, kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber angesichts der bislang von der Bundesregierung gezeigten Verweigerungshaltung wäre der Einsatz für eine solche Entschädigung auch und in erster Linie ein Zeichen politischer Reife, weil sie die staatliche Mitverantwortung für das Geschehene nicht mehr kategorisch leugnet, und ein überfälliger Ausdruck des Bedauerns. Der Untersuchungsausschuss zu HIV und Aids hat 1995 klare Versäumnisse des damaligen Bundesgesundheitsamtes festgestellt. Auf dieser Grundlage wurde eine Entschädigungsregelung für diejenigen Menschen geschaffen, die sich durch verseuchte Blutprodukte mit HIV infiziert hatten. Ursache dieser Infektionen waren exakt dieselben Versäumnisse, die zur Infektion der Hämophilieerkrankten mit Hepatitis C führten.
Es ist eine Missachtung des Parlaments, dass die Bundesregierung die Erkenntnisse dieses parlamentarischen Untersuchungsausschusses ignoriert. Und es ist eine Missachtung des Parlaments, dass die Bundesregierung seit Jahren versucht, den Sachverhalt immer weiter zu vernebeln, statt eine gerechte Entschädigungslösung zu schaffen. Es ist vor allem aber eine Ungeheuerlichkeit, wie die Bundesregierung Tatsachen leugnet und diesen Menschen Gerechtigkeit verwehrt. Fiskalische Erwägungen vermögen dieses sture Beharren nicht zu erklären, ebenso wenig wie die Angst vor weiteren juristischen Auseinandersetzungen. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hier in erster Linie um einen verzweifelten Versuch der Gesichtswahrung handelt, die ein vor 25 Jahren stattgefundenes staatliches Versagen einfach negieren will. Verlierer sind dabei die Betroffenen. Es ist an der Zeit, eine gerechte Entschädigungsregelung zu schaffen und dabei alle damals beteiligten Akteure – den Bund, die Länder, pharmazeutische Unternehmen und Blutspendedienste – einzubeziehen. Ein Vorbild gibt es dafür bereits: das 1995 beschlossene HIV-Hilfegesetz. Ich fordere daher die Kollegen von den Koalitionsfraktionen auf, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und sich schnellstmöglich für eine humanitäre Entschädigung der Erkrankten einzusetzen.

Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit:
Die Bundesregierung bedauert es sehr, dass in den 70er- und 80er-Jahren durch Blutprodukte Patientinnen und Patienten mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden sind. Betroffen sind vor allem Bluter, die zu dieser Zeit mit Gerinnungsfaktoren behandelt wurden. Es ist uns bewusst, dass die Hepatitis C eine sehr schwerwiegende Krankheit sein und sich auch lebensbedrohlich auswirken kann. Die Infektionsgeschehen sind in der Vergangenheit wiederholt erörtert worden, insbesondere im Untersuchungsausschuss „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ in der 12. Legislaturperiode, im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages – zuletzt im Frühjahr 2008 – sowie anlässlich verschiedener parlamentarischer Anfragen und Anträge.
Die Bundesregierung ist mit den Fraktionen der CDU/CSU und SPD der Meinung, dass die HCV-Infektionen durch Blutprodukte tragische, aber unvermeidliche Ereignisse gewesen sind. Eine staatliche Verpflichtung zu einer Entschädigung oder humanitären Hilfe besteht nicht. Das haben Gerichtsentscheidungen bestätigt. Und auch der Bericht des damaligen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ hat letztlich keine rechtlich zwingenden Feststellungen getroffen. Deshalb hatte der Untersuchungsausschuss auch nicht die Forderung nach einer Entschädigung oder humanitären Hilfe für HCV-infizierte Personen erhoben. Die Bundesregierung hat großes Verständnis für die betroffenen Patientinnen und Patienten. Sie sind unverschuldet in diese Situation geraten und erwarten Hilfe. Deshalb hatte sich das Bundesministerium für Gesundheit schon unter Minister Seehofer und später durch Ministerin Fischer an die Gesundheitsminister der Länder gewandt, um eine weitere gemeinsame Hilfeaktion auf freiwilliger Basis zu vereinbaren. Die Länder haben das klar und deutlich abgelehnt. Auch die betroffenen pharmazeutischen Unternehmen und die Blutspendedienste des Deutschen Roten Kreuzes haben eine solche gemeinsame Aktion mehrfach zurückgewiesen. Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, dass der Bund diese Hilfe alleine finanziert. Diese Einschätzung wird von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages geteilt. Diese Position ist auch mit den Vertretern der Patientenverbände Ende letztes Jahr erörtert worden.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/11685 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.