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Blut verbindet alle

"Umgang zwischen der pharmazeutischen Industrie und Patientenorganisationen"

14.08.2008

EFPIA-Kodex ist in Kraft getreten, mit anschließendem Interview.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations / Europäische Vereinigung der Pharmazeutischen Industrie und ihrer Verbände) hat zum 1. Juli 2008 ihren überarbeiteten Kodex im Umgang zwischen der pharmazeutischen Industrie und Patientenorganisationen (in Englisch)  in Kraft gesetzt. Diese Vereinigung der vierzig führenden pharmazeutischen Unternehmen, stellt den größten Branchenzusammenschluss auf europäischer Ebene dar. Die Mitglieder der EFPIA agieren in 30 europäischen Staaten.

Bedeutsame Punkte des Kodex in der Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen sind hinsichtlich Werbeverbots, Dokumentation und Veröffentlichung auszugsweise:

  • Artikel 1: Die Respektierung des "Werbeverbots" für verschreibungspflichtige Medikamente. Ein begrüßenswerter Punkt vor dem Hintergrund der Diskussion hinsichtlich des Themas "unabhängige Patienteninformation / Aufhebung des Werbeverbots" auf Ebene der Europäischen Kommission, die im ersten Halbjahr 2008 wieder zur Debatte stand - wir berichteten.
  • Artikel 2: Über alle bedeutenden Unterstützungen, seien sie finanzieller oder nicht-finanzieller (indirekter) Art muss eine schriftliche Vereinbarung getroffen werden, die den Betrag und den Zweck enthält. Dies gilt auch für die indirekte Unterstützungen, wie beispielsweise die Übernahme von Arbeiten durch eine PR-Agentur.
  • Artikel 5: Jedes Unternehmen muss bis spätestens Ende des ersten Quartals 2009 alle Förderaktivitäten ab dem 01.01.2008 veröffentlichen. Diese Veröffentlichung muss spätestens jährlich aktualisiert werden. Zu veröffentlichen ist eine Liste der Patientenorganisationen die unterstützt wurden und in welcher Form. Dies umfasst "eine kurze Beschreibung der Art der Unterstützung". Unserer Interpretation nach bedeutet dies nicht, dass beispielsweise Förderbeträge ausgewiesen werden müssen, sondern "finanzielle Unterstützung" ohne konkrete Nennung des Betrages ausreicht.

Der EFPIA Kodex legt fest, dass nationale Kodices diesen Standard nicht unterlaufen dürfen. Der auf nationaler Ebene in Deutschland sich in der Überarbeitung befindliche Kodex der FSA (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.) liegt nach Angaben des Verbandes der Forschenden Arzneimittelhersteller derzeit dem Bundeskartellamt zur Prüfung vor.

Anbei übersenden wir Ihnen ein Interview mit Prof. Dr. Englert (Deutsche ILCO e. V.), welches in der Zeitschrift "FORUM" der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (Ausgabe 04.2008 - Band 23) veröffentlicht wurde.

Interview:

Selbsthilfegruppen: unabhängig trotz Industriesponsoring?
Interview mit Professor Englert, Vorsitzender der Deutschen ILCO

Sehr geehrter Herr Professor Englert,

die Präsenz wie auch die Wahrnehmung der Selbsthilfegruppen durch die Öffentlichkeit ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Allerdings entstanden aufgrund einiger Einzelberichte in den Medien in der Vergangenheit zum Thema Finanzierung/Sponsoring usw. von Selbsthilfegruppen durch die Industrie diverse Diskussionen im Hinblick auf Abhängigkeiten, die sicherlich nicht dazu beigetragen haben, das Vertrauen in die Arbeit der Gruppen zu vertiefen. Im Rahmen ihrer langjährigen Funktion als Vorsitzender der Deutschen ll. CO (Selbsthilfevereinigung

für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs) wie auch ihrem politischen Engagement als Patientenvertreter im GBA (Gemeinsamer Bundesausschuss) haben Sie diese Diskussion sicherlich verfolgt.

O Eine Ursache der Diskussion war sicherlich das Ergebnis einer Studie, die vom VdAK [Verband der Angestellten-Krankenkassen] bei Prof. Glaeske in Auftrag gegeben wurde, die den Umfang der Einflussnahme der Industrie auf Selbsthilfegruppen abschätzen sollte. Die Studie kam — kurz formuliert « zu dem Ergebnis, dass die Industrie die Selbsthilfegruppen für ihre Zwecke auf den verschiedensten Ebenen instrumentalisiert. Wie bewerten Sie diese Aussagen?

Die Diskussion über mögliche problematische Formen der Zusammenarbeit zwischen der Selbsthilfe und der Industrie, insbesondere der Zusammenarbeit mit Pharmafirmen, begann schon einige Jahre vor der

so genannten Glaeske- Studie. Bereits vor über Jahren befassten sich Mitgliedsverbände der beiden Dachverbände BAG Selbsthilfe (BAGS) Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihrer Angehörigen e. V] und des FORUMs chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen Wohlfahrtsverband (FORUM) [Arbeitsgemeinschaft von Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter

Menschen] mit dieser Problematik und erarbeiteten Richtlinien zur Zusammenarbeit der Selbsthilfe mit Wirtschaftsunternehmen. Das Thema wurde dann ab 2005 durch Medienberichte u. a. in der ZEIT in die Öffentlichkeit getragen. Lider kann nicht bestritten werden,

dass sich Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen vor den Karren vorallem der Pharmafirmen spannen lassen. Die Medienberichte erwecken jedoch leider den Eindruck, dass die Ausnahme die Regel sei. Die meisten Selbsthilfeorganisationen sind sich jedoch ihrer Verantwortung bewusst und haben sich z. E schon vor Jahren eigene Regeln für die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen gegeben und befolgen diese. Die Medienberichte und auch die (daeske-Studie haben jedoch sicherlich dazu beigetragen.die bereits laufenden Bemühungen um klare Regeln zu verstärken.

0 Wendet sich die Pharmaindustrie tatsächlich verstärkt auch dem „organisierten“ Patienten als Zielobjekt ihrer Marketingkampagnen zu und versucht, über diverse Ebenen Einfluss zu nehmen?
Können Sie diese Entwicklung durch Ihre langjährige Erfahrung als Vorsitzender der Deutschen ll.CO bestätigen und falls ja, wie sehen diese aus?

Erfahrungen der Deutschen ILCO bestätigen, dass sich Pharmafirmen darum bemühen, über die Selbsthilfe ihre neu entwickelten Produkte zu propagieren und dadurch über die Betroffenen Nachfrage bei den Ärzten zu erzeugen. Außerdem versuchen sie zu erreichen, dass sich Selhsthilfeorganisationen für die Bezahlung der Arzneimittel durch die Gesetzlichen Krankenkassen, u. a. beim Gemeinsamen Bundesausschuss, einsetzen. Die Strategien. die dabei zu Anwendung kommen, sind für die Mitarbeiterinnen und /-arbeiter der Selbsthilfe nicht immer leicht zu durchschauen.

Beispiele sind das Angebot  (firmennahe) Referenten für Gruppentreffen oder Informationsveranstaltungen bereit zustellen (welche dann die Firmenprodukte hervorheben) oder die Einladung an Selbsthilfeorganisationen zur Teilnahme an Fachkongressen.

0 Ist Ihrer Meinung nach eine industrieunabhängige Finanzierung großer Gruppen noch möglich und welche alternativen Finanzierungsmöglichkeiten für eine Selbsthilfegruppe gibt es?

Eine industrieunabhängige Finanzierung ist meiner Meinung nach nur möglich, wenn die Selbsthilfe eine wirklich unabhängige und angemessene Förderung erhält.

Bei der Finanzierung einer Selbsthilfeorganisation kommt es sehr darauf an, dass die Finanzmittel planbar und damit verlässlich zur Verfügung stehen. Es ist sonst nicht möglich, ein dauerhaftes Unterstützungsangebot zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Dies erfordert u. a. die

Einrichtung einer Geschäftsstelle und die Anstellung von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Kontinuität lässt sich allein mit ehrenamtlichen Mitarbeitern nicht erreichen. Mitgliedsbeiträge reichen dafür in den meisten Fällen, bei Selbsthilfeorganisationen mit geringer Mitgliederzahl überhaupt nicht aus. Projektmittel erlauben eine Finanzierung von Personal nur auf Zeit. Auch die von den Krankenkassen

bereit gestellten Fördermittel sind nicht planbar. So erhielt die Deutsche ILCO auf Bundesebene im Jahr 2008 20.000 EUR weniger als im Jahr 2007, ohne dass wir wirklich wissen warum. Gerade die meist bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisationen haben einen

Anspruch auf eine angemessene Förderung durch den Staat, da sie ja nicht nur ihre Mitglieder unterstützen, sondern als gemeinnützige Organisationen darüber hinaus sehr viel mehr Nicht-Mitglieder. Die Förderung durch die Krankenkassen war ein erster Schritt, dieser reicht jedoch nicht aus, das dringend Benötigte zu sichern, zumal ja die Krankenkassen jetzt die Hälfte der Selbsthilfefördermittel für Projekte ausgeben können.

Weitere „sichere“ Finanzierungen sind gefordert. Hier wäre an erster Stelle der Staat in Pflicht. Dessen Finanzierung müsste aber so gestaltet sein, dass sie nicht mit dem üblichen bürokratischen Aufwand verbunden ist.

Eine Selbsthilfe-Stiftung könnte dazu beitragen, die erwünschte industrieunabhängige Finanzierung zu erreichen. An einer solchen Stiftung könnten sich auch \\rirtschaftsunternehmen beteiligen.

o Wie sehen beispielsweise Kooperationen der ILCO mit der Industrie aus?

Die Deutsche ILCO hat keine projektbezogenen Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen und erhält deshalb von diesen auch keine Finanzmittel. Wir sind dabei in einer besonderen Lage, da die Deutsche Krebshilfe viele unserer Projekte fördert und so zur Sicherung der Kontinuität und Leistungsfähigkeit unserer Arbeit wesentlich beiträgt.

Die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen beschränkt sich bei der
Deutschen ILCO darauf, dass wir uns mit Vorträgen und Infoständen an Firmenveranstaltungen beteiligen. Hilfsmittelfirmen ermöglichen wir es, bei Gruppentreffen und Informationsveranstaltungen ihre Produkte gegen Gebühr vorzustellen. Damit erfüllen wir eine Informationspflicht gegenüber den Betroffenen mit Stoma, da diese die für ihre Stomaversorgung benötigten Hilfsmittel genau kennen müssen, um deren Eignung beurteilen zu können und so in der Lage zu sein, über deren Einsatz selbst entscheiden zu können. Bei Arzneimitteln kann der Betroffene im Allgemeinen die Eignung nicht beurteilen. Die Entscheidung über ihren Einsatz liegt zudem beim Arzt.

o Was empfehlen Sie Selbsthilfegruppen zum Thema Sponsoring? Kann man
Sponsoring so gestalten, dass Gruppen ihre Unabhängigkeit bewahren und trotz dem finanziellen Spielraum haben?

Die finanzielle Förderung von Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen erfordert schriftlich festgehaltene Abmachungen und Transparenz nach außen. Es ist für die Wirtschaftsunternehmen und die Selbsthilfe notwendig, eingegangene Kooperationen zu

veröffentlichen. Die Sponsoring Verträge, die ja Marketing-Gegenleistungen der Selbsthilfe vorsehen, dürfen keine Abmachungen enthalten, die zur Beeinflussung der Arbeit der Selbsthilfe führen. Die Selbsthilfe muss sich auch darüber klar sein, dass die Einnahmen aus Sponsoring-Verträgen, Einnahmen aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sind und deshalb versteuert werden müssen.

0 Die ILCO ist Mitglied der BAGS und des FORUMs. Beide Dachverbände verschärften Ende letzten Jahres nochmals ihre gemeinsamen Leitsätze [Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen] zur Selbstverpflichtung und führten sogar ein Monitoring Verfahren ein, in dem Mitgliedsorganisationen so genannte Prüfbitten einreichen können. Wird dieses Angebot genutzt? Greifen Ihrer Meinung nach die Leitsätze der beiden Dachverbände?

Im Rahmen des Monitoring- Verfahrens wird Selbsthilfeorganisationen angeboten, sich zur einer geeigneten Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmenberaten zu lassen, Es besteht aber insbesondere auch die Möglichkeit, kritische Formen der Zusammenarbeit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen.

Die Monitoring- Gruppe aus Vertretern von Mitgliedsverbänden der BAGS und des FORUMs hatte in bereits mehreren Treffen vor allem Beratungsaufgabe zu übernehmen.

Es wird sicher nicht so sein, dass die Leitsätze und das Monitoring -Verfahren die Unabhängigkeit aller Selbsthilfeorganisationen von heute auf morgen bewirken können. Sie bieten jedoch sehr gute Voraussetzungen, dieses Ziel zu erreichen, sofern zusätzliche Möglichkeiten einer Finanzierung der Selbsthilfe geschaffen werden.

o Ist es einem Arzt mögIich, bevor er dem Patienten eine Selbsthilfegruppe empfiehlt, zu prüfen, ob diese Gruppe auch wirklich unabhängig agiert? Welche Möglichkeiten hat er?

Da ja nun die Dachverbände verstärkt daran gehen, das Verhalten ihrer Mitglieder gegenüber Wirtschaftsunternehmen zu überprüfen, sind Ärzte gut beraten, wenn sie sich erkundigen, ob die Selbsthilfegruppe vor Ort einem Mitgliedverband der BAGS oder des FORUMs angehört. Bei den sonstigen Selbsthilfegruppen ist es schwierig herauszufinden, ob Abhängigkeiten bestehen. Die Nachfrage nach der Finanzierung kann jedoch Hinweise auf eine möglicherweise problematische Zusammenarbeit geben.

Prof. Dr. rer. nat. G. Englert

Deutsche LCD eV.