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Blut verbindet alle

Presseerklärung zur Ablehnung der Staatshaftungsklage

10.03.2004

Landgericht Berlin

Im März 2003 haben fünf mit Hepatitis C (HCV)-infizierte Bluter mit Unterstützung der Deutschen Hämophiliegesellschaft (DHG) als bundesweit agierende Interessenvertretung der Hämophilen Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel erhoben, eine Entschädigung für die erlittene HCV-Infektion zu erreichen.

Am 3. März 2004 fand die Verhandlung vor dem Landgericht Berlin statt. Leider hat das Gericht die Klagen abgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung hat das Landgericht Berlin zu erkennen gegeben, dass nach seiner Auffassung vorrangig die Pharmaunternehmen und die Behandler zunächst in Anspruch genommen werden müssen. Erst wenn hier Ansprüche nicht durchsetzbar wären, könnten gegenüber der Bundesrepublik Ansprüche geltend gemacht werden (Subsidiaritätsprinzip). Andere, frühere Klagen gegen Hersteller und Behandler waren bisher erfolglos, weil in der Regel die Patienten Arzneimittel von mehreren Herstellern erhalten hatten oder von mehreren Ärzten behandelt wurden, so dass die Beweislage extrem schwierig und ungünstig war. Den Klägern abzuverlangen wegen dieser rechtspolitischen Grundsatzfrage bis zum Bundesgerichtshof zu gehen, ist in zeitlicher und finanzieller Hinsicht unzumutbar.

Das Gericht hat allerdings auch zu erkennen gegeben, dass möglicherweise Pflichtversäumnisse der in der Bundesrepublik verantwortlich zeichnenden Aufsichtsbehörden darin begründet liegen, dass die Gewinnung und Herstellung der Faktorenkonzentrate in den USA nicht hinreichend kontrolliert worden sei.

Die DHG wird sich mit Nachdruck weiterhin dafür einsetzen, rechtliche und politische Wege zu finden, eine Entschädigungsregelung herbeizuführen, wie sie auch in anderen europäischen Ländern und Kanada erreicht wurden. Wir hoffen, dass die in den USA initiierten Klagen auf diesem Weg einen Beitrag zu dem Ziel liefern.

Über das weitere Vorgehen wird die DHG abschließend erst entscheiden können, wenn der Text des Urteils vorliegt.

Die DHG fordert die Bundesregierung unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreites erneut eindringlich auf, nicht zuletzt auch angesichts der Folgen dieser Infektion, die häufig mit erheblichen Leistungseinschränkungen und nachfolgenden sozialen Notlagen verbunden ist, sich für eine bundesweite einheitliche Praxis für die Gewährung und Abwicklung einer angemessenen Entschädigungsregelung für alle Opfer der Hepatitis C-Infektion durch Blutprodukte ein-zusetzen. Es ist zu erwarten, dass die HCV-Infektion zur Haupttodesursache in der Gruppe der Hämophilen wird.

Es bedarf unseres Erachtens analog dem HIV-Hilfegesetz einer erneuten Kraftanstrengung aller Beteiligten (Bund, Länder und Pharmaindustrie), um den Betroffenen wenigstens durch einen finanziellen Ausgleich den Verlust an Gesundheit und Lebenserwartung erträglicher zu gestalten.

Details zu den Anspruchsgrundlagen für eine Entschädigungsregelung sowie zu Versäumnissen der Aufsichtsbehörden und weiteren Aktionen entnehmen Sie bitte der Anlage, die auch auf unserer Homepage unter www.dhg.de eingesehen werden kann.

Hamburg, 5. März 2004

Anlage zur
Presseerklärung vom 5. März 2004
zur Staatshaftungsklage wegen Hepatitis C-Infektion

Anspruchsgrundlagen für eine Entschädigungsregelung

  • Das BGA (Bundesgesundheitsamt zuständig bis 1994, zurzeit Paul-Ehrlich-Institut) hatte als Bundesbehörde nach Arzneimittelgesetz (AMG) aus dem Jahre 1976 die Zulassung von Arzneimitteln und die in Verkehr bereits zugelassenen Arzneimittel zu überwachen.
  • Bedenkliche Arzneimittel durften nach § 5 AMG nicht in Verkehr gebracht werden oder die Zulassung von Arzneimitteln, deren Bedenklichkeit nachträglich bekannt wurde, waren zurückzunehmen.
  • Nach § 62 AMG hatte das BGA die Aufgabe, erkennbar gewordene Risiken systematisch zu erfassen und bei relevanten Erkenntnissen zu reagieren, z.B. durch Verordnung der Anwendung geeigneter technologischer Maßnahmen (Testung der Plasmaspenden) zur Reduzierung der Virusbelastung bzw. der Aufhebung der Zulassung dieser Arzneimittel aufgrund der damals vorliegenden Erkenntnisse über deren Verseuchungsgrad.  

Versäumnisse der Aufsichtsbehörden

Obwohl den Aufsichtsbehörden spätestens ab 1974  bekannt war, dass durch gepoolte Gerinnungspräparate, die vorwiegend in den USA hergestellt wurden, das Risiko einer Hepatitisinfektion sehr hoch war, hat das Bundesgesundheitsamt (BGA)  versäumt, zum Schutz der mit diesen Produkten behandelten Hämophilie-Patienten wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

  • Es wurde noch bis 1985 für die in Deutschland eingesetzten Gerinnungspräparate Plasma in den USA aus so genannten Hot Spots (epidemiologisch bedenkliche Regionen) von überwiegend bezahlten Spendern gewonnen (z.B. Bronx, mexikanische Grenze oder auch in Gefängnissen). Die deutschen Aufsichtsbehörden haben versäumt, die Spendeeinrichtungen und deren Spenderauswahl zu überprüfen.
  • Seit 1977 gelten in Deutschland die vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer aufgestellten Richtlinien für Plasmapheresen. Danach mussten alle in Deutschland in Verkehr gebrachten Plasmaspenden, einschließlich der Plasmen, aus denen Gerinnungspräparate hergestellt wurden, mit der so genannten ALT-Testung auf erhöhte Transaminasen getestet werden. Deren Ursache war häufig auf eine Hepatitis Non A/Non B (heute Hepatitis C) zurückzuführen. Noch bis 1984 waren bei der Produktion der Gerinnungspräparate verwendete Plasmen, die zu 90 Prozent aus den USA stammten, nicht der ALT-Testung unterzogen worden. Dieser in Deutschland zur Risikominimierung vorgeschriebene Test wurde in den USA erst 1986 empfohlen. Bei konsequent durchgeführter Testung der US-Ausgangsplasmen auf Leberenzymwerte hätte das Infektionsrisiko für Hepatitis Non A/Non B erheblich vermindert werden können. Das BGA hat versäumt zu überprüfen, ob das importierte Plasma bzw. die importierten Fertigprodukte den in Deutschland geltenden Richtlinien entsprach.
  • Ab 1978 befand sich das virusinaktivierte Faktor VIII-Präparat der Firma Behring zur  Behandlung der Hämophilie A in der klinischen Erprobung. Es wurde Anfang 1981 zugelassen. Bereits 1976 wurde ein virusinaktiviertes PPSB-Präparat der Firma Biotest für die Behandlung der Hämophilie B zugelassen. Das BGA hat versäumt, Virusinaktivierungsverfahren frühzeitig zu fordern bzw. anzuordnen und verseuchte Produkte zurückzurufen, so dass z.T. noch bis 1985 Gerinnungspräparate verwendet wurden, die keinem Virusinaktivierungsverfahren unterzogen waren.  

Das BGA hat versäumt, aufgrund der Bedenklichkeit der nicht-virusinakti-vierten Gerinnungspräparate einen Stufenplan einzuleiten. Dies hatte zur Folge, dass sich nahezu 100 Prozent der bis Mitte der 80er Jahre mit diesen nichtvirusinaktivierten Präparaten behandelten Hämophilen mit dem Hepatitis C-Virus infizierten. Durch die fortwährende Behandlung mit den verseuchten Gerinnungspräparaten kam es bei der Mehrheit der Betroffenen zur Chronifizierung, in vielen Fällen mit schwerer Verlaufsform wie der Ausbildung einer Leberzirrhose, z.T. mit nachfolgendem Leberkarzinom.

Weitere Aktionen zur Erlangung einer Entschädigungsregelung

  • Klagen gegen Hersteller in den USA aufgrund dortiger Haftungsgesetze für Arzneimittel bzw. Vorprodukte (Plasma), die in der Bundesrepublik verkauft bzw. verarbeitet wurden.
  • Einzelne Klagen gegen Hersteller von Gerinnungspräparaten in der Bundesrepublik.
  • Anhörungen durch den Arbeitskreis "HCV-Entschädigungsregelung des Gesundheitsausschusses des 15. Deutschen Bundestages“ durch Stellungnahmen von Betroffenen und von medizinischen Experten.
  • Außerdem haben Hämophile aus den neuen Bundesländern vor den Sozialgerichten Klagen erhoben. Diese Verfahren bieten möglicherweise die Gelegenheit einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Betroffen sind ca. 1.000 Bluter.